Was bedeutet
"Eranos"?
Das Wort "Eranos"
bezeichnet im Altgriechischen ein Gastmahl, zu dem jeder
etwas beiträgt &endash; materiell oder geistig.
Der ungarische Altphilologe und Mythologe Karl
Kerényi hat auf den ursprünglichen Sinn des
Wortes hingewiesen, das in der griechischen Literatur
erstmals in Homers Odyssee auftaucht. Laut Kerényi
ging es bei einem "Eranos" &endash; anders als bei
einem gemeinschaftlichen "Picknick"; immer auch um einen
"geistigen Kern", den die Teilnehmer aus dem Moment
heraus durch ein Trinklied, eine symbolische Gabe an die
Gruppe, ein Gedicht oder eine improvisierte Rede
ansprechen und entwickeln sollten.
Seit dem Jahr 1933 hat in
Ascona-Moscia, auf der Schweizer Seite des Lago Maggiore,
über 70 Jahre lang ein modernes ERANOS seine Wirkung
entfaltet. Hier war der Ort, an dem die Idee von Olga
Fröbe-Kapteyn Form annahm, einen "Freiraum des
Geistes", eine "Begegnungsstätte zwischen Ost und
West" zu schaffen, und wo die Beziehung zwischen
Individuum, Geist und den Ausdrucksbildern der Seele
immer aufs Neue durchdacht wurde.
Gastmahl und
Jahrbücher
Das Gastmahl um den
Runden Tisch auf der ERANOS-Terrasse, angeregt durch die
"Gaben", die die Teilnehmer in Form von Vorträgen
und Diskussionen darbrachten, wurde so zum lebendigen
Symbol. Der im Zedernschatten stehende Gedenkstein
für den "unbekannten Geist des Ortes" sowie der
lichtdurchflutete Vortragssaal mit Blick auf die Berge
des anderen Seeufers mögen weitere Elemente der
Inspiration so vieler Denker des 20. Jahrhunderts an
diesem Ort gewesen sein. Nach den Tagungen jeweils im
August übergaben die Redner Olga Fröbe ihre
Manuskripte im Austausch für ihre Gastfreundschaft.
Dadurch ist eine Reihe von über
60 Jahrbüchern
entstanden, die Zeugnis ablegen von der immensen Arbeit,
die hier auf den verschiedensten Forschungsgebieten
geleistet wurde.
C.G. Jung und andere
wegweisende Denker
Unter dem Einfluss des
Schweizer Psychologen Carl Gustav Jung (1875-1961)
bewegten sich die ERANOS-Tagungen um symbolische,
archetypische und mythologische Motive: wie A. Portmann
und R. Ritsema 1978 hervorhoben, ver- weisen diese
Ausdrucksformen auf eine dem Menschsein zugrunde liegende
Substruktur, die a-historisch oder archaisch genannt
werden kann, und der sich ERANOS immer zutiefst verbunden
fühlte.
Neben der Prägung
durch Jung, der Olga Fröbe den Horizont von
individualistischer Psychologie hin zur Welt der
Archetypen eröffnete, brachte die Begegnung mit dem
Sinologen Richard Wilhelm (1873-1930) für Olga
Fröbe eine neue Wendung: durch ihn bekam sie
erstmals Zugang zu fernöstlichem Denken und die
Möglichkeit zur Begegnung mit
außereuropäischen Kulturen auf gleicher
Augenhöhe. Schließlich vermittelte der
Religions- historiker Rudolf Otto (1869-1937) der
ERANOS-Gründerin einen Begriff von Religion und
Mystik, in deren Mittelpunkt der Mensch steht.
Seit Ende der 30er Jahre
konzentrierte sich das Programm der Tagungen auf jeweils
ein Jahresthema, das von den Rednern aus
unterschiedlicher Perspektive und in vielen Facetten
analysiert und ausgeleuchtet wurde:
Philosophen (z.B. M.
Buber), Psychologen (E. Neumann), Theologen (P. Tillich),
Naturwissenschaftler (E. Schrödinger), Orientalisten
(G. Tucci), Religionshistoriker (M. Eliade), Ethnologen
(P. Radin), Indologen (H. Zimmer), Islamwissenschaftler
(H. Corbin), Ägyptologen (E. Hornung),
Kabbala-Forscher (G. Scholem), Mythologen (K.
Kerényi), Rabbiner (L. Baeck) und Zen-Buddhisten
(D. Suzuki) fanden in den ERANOS-Tagungen und bei den
informellen Gesprächen am Runden Tisch ein
einzigartiges Forum des Austauschs. Wie M. Eliade 1960
festhielt, empfanden viele, dass ihre kreative,
hochspezialisierte Forschungsarbeit in dem Moment, da sie
in diesem Kreis oft erstmals präsentiert und
ausformuliert wurde, eine tiefere Bedeutung als Beitrag
zum Wissen der Menschheit erhielt.
In den 40er Jahren stand
im Mittelpunkt der Tagungen der Mensch in seiner
vielfältigen Beziehung zur Welt, was sich dann zur
Idee eines von ERANOS inspirierten Neuen Humanismus
verdichtete. Darin würde sich das ursprüngliche
Interesse an den symbolischen Ausdrucksformen der Seele,
ihrer besonderen Sprache in Mythen, Märchen,
Bildern, religiösen Ritualen, Träumen, Kunst,
Poesie und Musik verbinden mit der Idee eines
Synkretismus von Natur- und Geistes- wissenschaften und
&endash; besonders in den letzten Jahren &endash;
von östlichem und westlichem Denken.
Die Vision des
KoordinationsRat der Relaunch Phase I
(2006-2009)
ERANOS-KOORDINATIONSRAT,
Zusammenarbeit von Eranos, Fetzer und Pacifica
Die Stiftung Eranos, das
Fetzer Institute in Kalamazoo, Michigan/USA und das
Pacifica Graduate Institute in Santa Barbara,
Kalifornien/USA haben einen Rat gebildet, dem die
führenden Vertreter dieser drei Organisationen
angehören und der sich regelmäßig trifft.
Zweck dieser Treffen ist die Koordination der jeweiligen
Aktivitäten bei Eranos. Auch wenn jede Organisation
unabhängig von den anderen und voll verantwortlich
für ihre eigenen Veranstaltungen bleibt, gilt es
doch viele Dinge zu koordinieren, um eine optimale,
effektive und ausgewogene Nutzung der Örtlichkeiten
und der Organisation von Eranos zu erreichen. Der Vorsitz
dieses Rates wechselt zwischen den
Präsidenten/Vorsitzenden der drei Organisationen;
derzeit hat ihn Dr. Steven Aizenstat,
Gründungspräsident des Pacifica Graduate
Institute, inne.
Der folgende Text umreißt die Zukunftsvorstellung,
auf die sich die drei Organisationen bei einem
kürzlichen Treffen des Eranos-Koordinationsrats
verständigt haben. In ihr drückt sich der Geist
dieser Zusammenarbeit aus.
Die Vision
Der
Eranos-Koordinationsrat setzt sich aus den
Führungspersonen der gegenwärtig drei
Partner-Organisationen zusammen: der Stiftung Eranos, des
Fetzer Institute und des Pacifica Graduate Institute. Es
geht dabei um eine Partnerschaft auf der Basis
gemeinsamer Werte, wie sie am Ort und durch die Tradition
von Eranos Gestalt angenommen haben: in einer
einzigartigen Verbindung von intellektueller
Kreativität. umfassender Vorstellungskraft und
kultureller Tiefenwirkung. Unsere gemeinsame Hoffnung
für Eranos im 21. Jahrhundert gilt nicht nur der
Erneuerung, sondern auch der Ausweitung des Geistes von
Eranos in einen globalen Horizont, um der
größeren Gemeinschaft unserer Erde in dieser
entscheidenden Zeit des Um- und Aufbruchs zu
dienen.
Auf praktischer Ebene
arbeiten die Partner zusammen bei der Nutzung der
Einrichtungen in Moscia und Ascona, bei der Koordination
von Veranstaltungen und Initiativen. Jeder der Partner
bewahrt seine besondere Identität, die gleichwohl
durch die Zusammenarbeit gestärkt werden kann. Jeder
ist verantwortlich für seine eigenen Konferenzen und
Inhalte, wird aber immer den Austausch und den besten
Umgang mit verfügbarer Information und Ressourcen
zugunsten gemeinsamer Ziele suchen.
Auf der Ebene der Vision
sehen sich die Partner der reichen Tradition von Eranos
verpflichtet, seinem kulturellen, psychologischen,
spirituellen Erbe und seinen prägenden
Persönlichkeiten. Zugleich richtet sich der Blick
auf die heraufkommende Welt des neuen Millenniums. Das
Pacifica Graduate Institute steht dabei für das von
ihm seit langem verfolgte Anliegen einer Psychologie und
Erziehung, die die ganze Person mit ihrer jeweiligen
emotionalen, spirituellen, körperlichen und
intellektuellen Dimension umfasst und die
Unterschiedlichkeit der Personen achtet. Das Pacifica
Graduate Institute verbindet mit Eranos die Hoffnung auf
einen Ort, an dem die Kultur des Zuhörens, der
tiefgehenden Gespräche, der Imagination gepflegt und
in den Dienst einer wiederbeseelten Welt, der anima
mundi, gestellt wird. Das Fetzer Institute trägt bei
mit seinem Engagement für einen weltweiten
Bewusstseinswandel, weg von der aktuellen
Zeitströmung der Angst und Gewalt, hin zu Liebe und
Vergebung; ein Erwachen, das in den psychologischen und
spirituellen Einsichten des späten 19. und 20.
Jahrhunderts wurzelt und zu dem Eranos selbst in
hervorragender Weise beigetragen hat.
Alle Partner sehen sich
im Einsatz für eine weniger oberflächliche
Welt. Sie wollen Pioniere des Denkens
zusammenführen, die einer ganzheitlichen Sichtweise,
einem kulturellen Bewusstseinswandel sowie der
Integration von geistigem und spirituellem Innenleben und
äußerer vita activa Vorschub leisten wollen.
So sollen die bei Eranos eingeladenen Teilnehmer wie seit
jeher den Blick über die Grenzen ihrer eigenen
akademischen Spezialgebiete richten, ohne dabei den
kritischen Ansatz aufzugeben. Wie seine einzelnen
Partnerorganisationen ist auch Eranos stets bestrebt,
jene "fruchtbare Mondsichel" zu nähren, die sich
durch die Überlappung von Mainstream und
alternativen, kulturell-intellektuellen Gruppierungen
bildet &endash; in beidem zuhause und doch über
beides hinausreichend.
Mit seiner Lage in der
Schweiz, im Herzen Europas, kann Eranos eine
Begegnungsstätte sein zwischen Ost und West, Nord
und Süd, Individuum und Kollektiv, Intellekt und
Seele. Seiner eigentlichen Bestimmung nach sollte Eranos
eine sprudelnde Quelle der Kultur, ein Brunnen tiefer und
weiter Schau sein, wo die Schönheit der Natur und
die Gegenwart alter Weisheit all jene inspiriert, die
hierher kommen und von hier aus mit erfrischtem Geist und
vertiefter Einsicht in ihre eigene Welt
zurückkehren.
AM FESTMAHL VON ERANOS
(Rossana Dedola , 2006)
In dieser Rede die an der ersten Eranos Tagung der
Relaunch phase gehalten wurde rekapituliert Rossana
Dedola mit bezaubernden Farben die verschiedene Aspekte,
Impulse und Kontexte die den "Eranos Geist"
allmählich gestaltet haben.
Der Ort an dem wir uns
heute befinden, ist der Monte Verità, der Berg der
Wahrheit. Dieser Ort und seine Entdecker und Bewohner
haben eine besondere Geschichte erlebt. Aber nicht nur
der Monte Verità, sondern auch die Eranos
Tagungen, die in Ascona in der Casa Gabriella
stattfanden, haben eine wichtige Geschichte. Wenn ich an
die verschiedenen Ereignisse, die hier geschehen sind,
denke, tauchen in mir viele Fragen auf: Was hat die
Protagonisten dieser spannenden Geschichte hierher
gezogen, was hat sie zu der Entdeckung dieses Ortes
gebracht, warum haben sie einen Berg so getauft, Monte
Verità?
Am Anfang des letzen
Jahrhunderts hat Ascona wie ein Magnet Menschen
angezogen, welche die Gesellschaft, in der sie lebten,
nicht mehr akzeptieren und ertragen konnten. In Ascona
fanden sie einen Platz, an dem sie sich selbst wieder
finden konnten. Hier suchten sie eine neue Verbindung mit
den anderen Menschen, mit der Natur und mit dem Kosmos.
Monte Verità ist als Ort der Flucht geboren
worden, als Ort des Exils.
Von einem geologischen
Standpunkt aus betrachtet, hat dieser Ort
tatsächlich einen besonderen "Magnetismus", auf den
der Körper reagiert. Eine wissenschaftliche
Erklärung für dieses Phänomen hat man bis
jetzt allerdings nicht gefunden. Es sind nicht nur die
Schönheiten des Ortes, die fruchtbare Erde, die
Wärme der Sonne, die subtropische Vegetation mit
ihren wunderschönen Blumen, die den Humor und die
Gesundheit beeinflussen und eine neue, offenere Beziehung
mit sich selbst und der Welt ermöglichen.
Genau wie der geologische
Magnetismus nicht zu beweisen ist, sind die Fragen, die
ich vorher gestellt habe, nicht so einfach zu
beantworten. Ein rein historischer Blick vermag das
Phänomen nicht ausreichend zu erklären. Und
noch weniger kann uns diese Perspektive helfen, wenn wir
an Eranos mit seinem eigenen Magnetismus denken. Mit der
Frage, welche historischen Bedingungen zu Eranos
geführt haben, dringen wir nicht ins Zentrum des
Problems vor, im Gegenteil. Die Frage ist nicht, welche
kulturhistorischen Ereignisse Eranos geboren haben,
sondern welche Kultur Eranos hervorgebracht hat, eine
Kultur, die bis heute grosse Bedeutung hat.
Doch zuerst möchte
ich einige Worte über den Monte Verità sagen,
über die Lebensreform, die seine autarken Einwohner
realisieren wollten. Sie suchten eine Lebensreform, die
ihr Leben grundsätzlich verändern sollte, weil
sie es nicht mehr als menschlich empfanden. Für die
Migranten, die nach Ascona gekommen waren, hatte das
Leben völlig seinen Sinn verloren.
Es war die Epoche des
Imperialismus. Die Ablehnung und die Kritik der Menschen,
die nach Ascona flüchteten, richtete sich gegen die
kriegshetzerische europäische Zivilisation, der sie
eine pazifistische Gemeinde entgegensetzen wollten. Statt
einem anonymen Leben in den großen industriellen
Städten wollten sie eine Rückkehr zur Natur,
eine Verbindung mit dem Land suchen. Und zwar eine sehr
tiefe Verbindung, um mit der Seele des Ortes in Kontakt
zu kommen. Ein Kontakt, den die kapitalistische
Industrialisierung unterbrochen hatte, weil sie als Ideal
nur die Warenproduktion hatte, den Markt als Ziel des
Lebens. Unter diesen Bedingungen war die individuelle
Entwicklung unmöglich, und auch die Emanzipation
nicht.
Die zukünftigen
Bewohner auf Monte Verità spürten in dieser
Situation eine tiefe innere Leere, vor der sie
flüchten wollten, um zum Ursprung
zurückzukehren, um einen neuen Lebensstil zu finden.
Deshalb begannen sie in einer autarken Art zu leben, in
welcher nur das Wesentliche Platz fand.
Zuerst kamen die zu
Flucht und Exil gezwungen Anarchisten nach Ascona, um
sich dort anzusiedeln. Nicht nur der russische Anarchist
Michael Bakunin, sondern auch die deutschen Erich
Mühsam und Raphael Friedeberg kamen hierher. Etwas
später folgten die eigentlichen Protagonisten der
Erfahrung des Monte Verità: Henry Oedenkoven und
Ida Hofmann, Jenni, Ida's Schwester, Karl Gräser und
sein Bruder Gustav, Gusto genannt.
Gerade im Jahr 1900
begann diese Gruppe von Unzufriedenen einen idealen Platz
zu suchen, wo sie sich ansiedeln konnten, und gingen ins
Tessin. Auf dreihundertfünfzig Metern über
Meer, am Lago Maggiore, in Malesca, mit Blick auf die
Brissago Inseln und das Maggiatal, fanden sie den Ort,
den sie suchten. Ohne Strasse und ohne Elektrizität.
Sie kauften die ersten Hektare mit dem Geld von Henri
Oedenkoven. Sie suchten nach einem Namen für diesen
Ort und waren alle sofort einverstanden: Monte
Verità - Berg der Wahrheit - sollte er
heissen.
Robert Landmann, der
Biograf von Monte Verità, schreibt: "Die Luft in
diesem Ort ist speziell. Außer den üblichen
Grundstoffen enthält sie, neben einigen
übersinnlichen Elementen, gewiss eine mächtige
Dosis dolce far niente".
Sie begannen einfache
Häuschen zu bauen, die sogenannte
Luft-Licht-Häuser, mit einem Hof, in welchem sie
sonnenbaden konnten. Zudem stellten sie einfache
Möbel her. Sie bauten und diskutierten also
über die Rückkehr zur Natur von Tolstoi, sie
bearbeiteten die Erde selbst, um sich mit gesunden
Nahrungsmitteln zu ernähren. Sie kochten selbst,
natürlich nur vegetarisch, und lebten meist im
Freien. Draussen tanzten sie, draussen badeten sie, frei,
zufrieden und nackt. So lebten sie im Lichte der Wahrheit
auf dem Berg der Utopie.
Was war also der Monte
Verità? Ein naturalistisches Sanatorium, wie sie
das nannten? Eine kommunistische Kolonie,
"ethisch-sozial-vegetarisch"? Oder eine Bande der
"Balabiott"? Das Wort aus dem Tessiner Dialekt wurde von
den perplexen Beobachtern benutzt. Sie konnten nicht
verstehen, dass dort das Ideal des gesunden und
egalitären Lebens gelebt wurde.
Für die Teilnehmer
an Eranos Tagungen dauerte der Aufenthalt im Tessin nur
zehn Tage. Trotzdem fühlten sie den Einfluss dieses
Ortes so stark, dass sie seit den Anfängen im Jahr
1933 jedes Jahr im August zurückkamen und bis zum
Krieg auf dem Monte Verità wohnten. Aber auch
während des Krieges fanden die Tagungen weiter
statt.
Die Begründerin von
Eranos war Frau Olga Fröbe Kapteyn. Ohne dass sie es
wußte, wurde sie "die Große Mutter" genannt.
Sie wurde als Tochter holländischer Eltern in London
geboren. Mit vierzig Jahren verlor sie ihren Mann. Zu
dieser Zeit kaufte ihr Vater ein großes Stück
Land für sie mit einem Haus darauf: Casa Gabriella,
am Ufer des Lago Maggiore, wo sie Künstler und
Philosophen empfing. Sie stellte sich vor, dass dieser
Ort mit dem üppigen Garten, mit Schatten
großer Libanonzedren, besucht von verschiedenen
Vögeln, Insekten und anderen Geschöpfen eine
ideale Begegnungsstätte werden könnte. Sie
baute im Park einen Konferenzsaal und ein Gästehaus,
"Casa Shanti", in Sanscrit "Haus des Friedens", ohne
eigentlich zu wissen, wer dorthin hätte kommen
sollen.
"Eranos", ein
griechisches Wort, das "Festmahl" bedeutet, hatte ihr der
Religionshistoriker Rudolf Otto suggeriert. Otto hatte
schon 1917 Das Heilige veröffentlicht, ein Buch das
ihn weltbekannt machte. Mircea Eliade erklärt, dass
die Ursache des Erfolges von Otto's Buch die
Originalität der Perspektive war: Statt die Ideen
von Gott zu erforschen, analysierte Otto "das Wissen der
religiösen Erfahrung". Er hatte also verstanden was
für den Gläubigen die Erfahrung des "lebendigen
Gottes" bedeutet. Nicht der Gott der Philosophen, keine
abstrakte Idee, keine moralische Allegorie. In der
Erfahrung von Otto war Gott eine furchtbare Macht, die
sich im "göttlichen Zorn" offenbarte. Er hatte die
Leser mit dem Mysterium fascinans des Heiligen
konfrontiert, mit seiner Numinosität. An der ersten
Eranos Tagung war Rudolf Otto aber zu krank, um
teilzunehmen. Nach Ascona ging dafür der andere
Berater von Frau Fröbe, der damals 48jährige
Carl Gustav Jung.
Das Thema der ersten
Tagung oder besser gesagt des ersten Festmahls, war die
Begegnung von Ost und West. Es war das Jahr der
Machtergreifung Adolf Hitlers. Mit Eranos empfing Ascona
wieder politische Flüchtlinge, die aus Nazi
Deutschland weggejagt worden waren. Einige davon nahmen
an der Tagung teil, andere waren Zuhörer.
Die vielen Informationen
über die verschiedenen Begegnungen, die ich im Lauf
meines Vortrages erwähnen werde, habe ich in dem
sehr guten Buch von Hans Thomas Hakl, Der verborgene
Geist von Eranos. Unbekannte Begegnungen von
Wissenschafte und Esoterik, gefunden.
Heinrich Zimmer war einer
von diesen, die später Deutschland verlassen
mussten. Jung hatte ihn anfangs der dreißiger Jahre
kennengelernt. Er hatte schon das faszinierende Buch
"Kunstform und Yoga" von Zimmer gelesen. Er begegnete ihm
in Berlin, wie er in Erinnerungen, Träume, Gedanken
schreibt: "Wir verlebten zusammen einige schöne
Tage, die von inhaltsreichen und für mich ungemein
anregenden Gesprächen erfüllt waren. Wir
sprachen hauptsächlich von indischer Mythologie".
Heinrich Zimmer hatte
auch ein Buch gelesen, das C. G. Jung mit Richard Wilhelm
herausgegeben hatte, Das Geheimnis der Goldenen
Blüte. Ganz anderes war aber seine Reaktion: "Als
Heinrich Zimmer Das Geheimnis der Goldenen Blüte in
die Hand bekam und darin blätterte, geriet er
&endash; so erzählte er mir &endash; in Wut,
und zwar wegen meines psychologischen Kommentars. Er
schmetterte das Buch an die Wand". Als der Wutausbruch
vorbei war, nahm er das Buch auf und begann zu lesen;
"Was ich damals erlebte, war die plötzliche
Einsicht, dass meine Sanskrit-Texte nicht nur
grammatikalische und syntaktische Schwierigkeiten
darboten, sondern daneben auch noch einen Sinn
hatten".
C. G. Jung war nach
Berlin gefahren, um dort ein Seminar zu halten. Barbara
Hannah, die an dieser Reise teil nahm, erzählt ihre
eigenen Eindrücke und erinnert sich ganz genau, wie
damals die Panik, welche die Menschen in Deutschland
ergriffen hatte, fassbar wurde. Nachher hat Jung Zimmer
nach Zürich zu einem Seminar über Kundalini
Yoga eingeladen, das im Psychologischen Club stattfand.
Es war ausgerechnet auch
Zimmer, der den ersten Vortrag an der Eranos Tagung
hielt. Das Thema der Tagung war Yoga und Meditation im
Osten und Westen, und der Titel von Zimmer's Vortrag
lautete Zur Bedeutung des indischen Tantra-Yoga.
Zimmer war sicher von der
Atmosphäre von Eranos begeistert. Er nahm noch
mehrmals teil, er zeigte aber auch eine gewisse
Ambivalenz. Zum Beispiel riet er einem Freund der
Universität Oxford vom Besuch in Ascona ab, und
nicht nur wegen nicht ganz optimalen klimatischen
Bedingungen: "Fahren Sie nicht nach Ascona, der Föhn
bläst die ganze Zeit, und alles ist voll von Frauen
mit Übertragungen".
Er hat aber nicht nur die
Frauen in Übertragungssituationen beobachtet,
sondern auch den Verursacher dieses Zustandes,
nämlich C. G. Jung. "Dass dieses einzigartige,
gewaltige Exemplar der Menschengattung in mein Leben
trat, (sehe ich) als eine der größten
Geschenke des Lebens ". Am Tisch sass er gegenüber
von Jung, so konnte er ganz nahe das gewaltige und
bedrohliche Lachen erleben. Auch Jung war sich der
bedeutenden Persönlichkeit, die ihm gegenüber
saß, bewusst: "Ich fand in ihm einen genialischen
Menschen, von lebhaftestem Temperament."
Zimmer starb früh,
wie ein anderer Freund von Jung, nämlich der Autor
des Buches, das Zimmer an die Wand geschmissen hatte:
Richard Wilhelm. Das Schicksal von Zimmer, wie das von
anderen Teilnehmern an den Eranos Tagungen wurde durch
die Ereignisse seiner Zeit unheilvoll bestimmt: 1938
wurde ihm die Lehrbefugnis an der Universität
entzogen, weil seine Frau Christiane, die Tochter von
Hugo von Hofmannstal, Jüdin war. Er musste nach
Amerika auswandern, wo er 1943 starb.
Aber kommen wir
zurück zur Eranos Tagung. Der Vortrag von Jung
Empirie des Indviduationsprozesess untersuchte
verschiedene Mandala Bilder, die von einer seiner
Patientinnen gemalt worden waren. An dieser Tagung
sprachen auch Caroline Rhys-Davids, Präsidentin der
Pali Test Society, und Erwin Rousselle über
Seelische Führung im lebenden Taoismus. Nach
Wilhelms Tod wurde Rousselle Direktor des China-Instituts
von Frankfurt.
Auch der
Religionshistoriker Friedrich Heiler sprach in Eranos. Da
ein Thema Kontemplation war, bat ihn Frau Fröbe,
diesbezügliche Exerzitien zu zeigen. Walter Otto
schrieb dazu: "Die Konferenz von Ascona soll
glänzend gewesen sein. Heiler hat dort Exerzitien
gehalten und seine Messe durchgeführt, ob in
Bischofornate, weiß ich nicht, hoffe es aber.
Rousselle hat als Ministrant dabei assistiert". Auch
Heiler war ein Kenner des Hinduismus und Buddhismus, Olga
Fröbe nannte ihn "Professor Krishna".
Der dritte Sprecher, der
sich auch der christlichen Mystik gegenüberstellte,
war der Italiener Ernesto Buonaiuti, ein Freund von Otto
und Heiler, der seines Modernismus wegen vom Vatikan
exkommuniziert worden war. In Wirklichkeit war sein
Modernismus eine Rückkehr zu den Wurzeln des
Christentums, jene von Gioachino da Fiore und Franziskus
von Assisi. Bei ihnen zeigte sich die Religion eher in
Kontemplation und Freude, als in Disziplin und Lehre.
Buonaiuti war ein großer Kenner von Mystik und
alter Gnosis. Wegen des Bruches mit dem Vatikan zwang ihn
das Kulturministerium der faschistischen italienischen
Regierung den Lehrstuhl an der Universität Rom
aufzugeben. Aber er selbst kehrte von sich aus der
Universität den Rücken, weil er nicht einen
Treueid auf den Faschismus schwören wollte. Wie
schon erwähnt, war dies 1933.
Bei den Rednern, an der
ersten sowie an den folgenden Tagungen, war die Anzahl
der Gegner des Faschismus und Nationalsozialismus hoch.
Auch wenn Eranos nicht als alternativer Pol gegen den
Nationalsozialismus betrachtet werden kann, kann man doch
mit dem Religionsphilosoph Alfons Rosenberg, der auch im
Exil in der Schweiz war, einverstanden sein. Er sagt
"gewollt oder nicht gewollt war Eranos eine Antwort auf
das Verderben des Geistes".
An der zweiten Tagung
1934 über Ostwestliche Symbolik und
Seelenführung nahmen die gleichen Protagonisten
teil: Jung, Rousselle, Zimmer, Rhys-Davids, Heiler, Heyer
und Buonaiuti. Diesen Theologen, Psychologen und
Religions-Historikern schloss sich der Jude Martin Buber
an, der ein Chassidismus Experte war.
"Religions-Anarchist" hat ihn Scholem genannt. Weil er
Jude war, musste auch er die Universität in
Deutschland verlassen.
Ein neuer Teilnehmer war
auch der deutsche Jakob Wilhelm Hauer. Er war Indologie
Professor in Tübingen. 1932 hatte er das Buch Yoga
als Heilweg geschrieben und Jung gewidmet. Hauer wurde
eingeladen, ein Seminar über Kundalini-Yoga im
Psychologischen Club von Zürich zu halten. Er wurde
immer Nazi-freundlicher und als er 1938 im
Psychologischen Club über die Swastica sprach, wurde
er sehr stark kritisiert. Bei dieser Gelegenheit schrieb
er in sein Tagebuch: "Ich bin zu deutsch für diese
Leute". Als sich in Ascona die Nachricht verbreitet
hatte, dass Hauer zum Monte Verità kommen werde,
waren nicht alle damit einverstanden. Es wurde sogar ein
Plan gemacht, in den auch Max Ernst involviert war, dass
man Hauer bei seiner Ankunft mit Teer und Federn
überschütten wollte.
Über das Thema C. G.
Jung und Nazismus gab es schon viele Diskussionen, so
dass ich darauf nicht auch eingehen will; doch die oben
erwähnten Namen zeigen, dass diese Anklage nicht
unbedingt der Wahrheit entspricht.
Auch die Nazis wollten
sich über Eranos informieren; nach einer
Untersuchung verbot das Deutsche Kulturministerium
Deutschen die Teilnahme, wie Olga Fröbe in einem
Brief an Jung (29.7.1936) schrieb. Frau Fröbe
erklärte auch der amerikanischen Gesandtschaft in
Bern, dass die Ursache des Verbotes, die Anwesenheit
Martin Bubers in Eranos war. Einige Jahre später
stellte das Deutsche Ministerium fest, dass in Eranos
viele Juden anwesend waren und die ganze Organisation
schien ihnen "mysteriös".
An der zweiten Tagung
hielt auch die Psychotherapeutin und Astrologin Sigrid
Strauss-Klöbe einen Vortrag und gab als erste eine
psychologischen Deutung der astrologischen Symbole.
Nur ganz wenige Frauen
hielten einen Vortrag an den Tagungen, und ein Konflikt
zwischen Olga Fröbe und der Archäologin V.C.C.
Collum verursachte 1938 sogar den absoluten Ausschluss
der Frauen als Sprecherinnen. Olga Fröbe war auch
nicht ganz einverstanden, dass die Redner von der eigenen
Frau begleitet wurden.
Antoine Faivre
erzählt in seinem Tagebuch eine Anekdote über
Frau Scholem: Sie sei in ein Gespräch mit
Vortragenden vertieft gewesen, als Frau Fröbe die
Unterredung abrupt beendete, indem sie von Frau Scholem
verlangte, sie solle den Raum verlassen, denn "die Frauen
haben nicht mit den Herren Professoren zu diskutieren".
In Bezug auf diese Haltung den Frauen gegenüber,
deutete Jung 1960 in einem Brief einen Traum von Frau
Fröbe: "Bei Ihnen handelt es sich um einen
Vaterkomplex mit einer Überschätzung des
Männlichen, weshalb Sie durch eine Frau in einen
Frauenorden eingeweiht werden sollten. Das wäre auch
für die Zukunft von Eranos das Günstigste.
Einem Manne fehlt das hierzu erforderliche
Mütterliche".
C. G. Jung wollte nicht
als Patron von Eranos gesehen werden, sondern nur als ein
Mitarbeiter. Mircea Eliade selbst hatte diese auch
bemerkt: "Jung war der Spiritus rector von Eranos, doch
man kann nicht sagen, dass die Vortragenden
ausschließlich Jungianer gewesen waren".
Die Titel der Tagungen,
die einzelnen Referate und die Präsenz von so
verschiedenen Persönlichkeiten zeigten schon, dass
Eranos sofort eine wichtige Begegnungsstätte
geworden war. Ort der Begegnung zwischen Orient und
Abendland, zwischen Mythologie, Psychologie und den
verschiedenen Religionen, Buddhismus, Taoismus,
Hinduismus, Christentum, Katholizismus und
Protestantismus, Judentum und bald auch dem Islam mit
seinen verschiedenen Richtungen.
Warum zum Orient
hinschauen um eine neue Orientierung zu finden, um zum
Ursprung zu kommen? Man will sich neu orientieren, um
einen besseren Weg zu finden, wenn die Werte, an die man
geglaubt hat, in Frage gestellt werden. Hier zeigt Eranos
auch seine Verbindungen mit der vorzeitigen Erfahrungen
auf dem Monte Verità.: Bei Eranos wurde zum ersten
Mal die Konfrontation mit den anderen Kulturen, den
anderen Religionen und auch Mythologien wesentlich; das
Bedürfnis sie zu durchdringen, zu erfassen, ein
tiefgreifendes Verständnis zu entwickeln war sehr
stark. Man wollte Unterschiede erkennen aber auch
Verbindungen wahrnehmen. Diese tiefe Konfrontation ist
heute extrem aktuell geworden, wenn nicht sogar dringend
notwendig, wie die letzen schrecklichen Bilder aus dem
Irak zeigen.
Zu einer Zeit, in der das
individuelle Leben so bedroht war, in der Unterschiede
zwischen Mensch, Kultur und Religion zum Tode führen
konnten, in dieser Zeit in der die totalitären
Regimes propagiert haben, dass nur eine Rasse rein sei
und die anderen ein unwertes Leben haben, haben sich die
Referenten von Eranos in einem Kreis zusammengefunden, in
dem alle gleich waren.
Die Teilnehmer haben in
diesen Jahren im Hotel auf dem Monte Verità
gewohnt, das im Besitz des Barons Eduard von Heydt war.
Er hatte die Redner als seine persönlichen
Gäste betrachtet, so mussten sie nichts bezahlen.
Auch Jung wohnte dort.
In den Sälen des
Hotels waren verschiedene Skulpturen und Gegenstände
der Sammlung orientalischer Kunst des Barons ausgestellt.
Diese wurden später zur Sammlung des Rietberg
Museums nach Zürich gebracht. Wer diese Sammlung
kennt, kann sich gut vorstellen, wie anregend es gewesen
sein könnte, in der Nähe dieser
wunderschönen Figuren über die hinduistischen
Gottheiten zu sprechen oder ihren Geschichten zu
lauschen.
Aber wir dürfen
nicht vergessen, dass das "Zelt der Begegnung" von Eranos
genau in derselben Zeit aufgeschlagen wurde, in der
Gandhi den gewaltlosen Widerstand proklamiert und den
Salz-Marsch organisierte hatte: Er begann Richtung Meer
zu laufen, um dort Salz zu sammeln. Also parallel zur
erfolgreichen Bewegung, die Indien zur Freiheit verholfen
hatte und Indien zur grössten Demokratie der Welt
machte, diskutierten in Eranos die Teilnehmer über
die Jahrtausende alten Lehren des Hinduismus, des
Buddhismus, des Yogas in ihren unterschiedlichen Formen
und Richtungen. Eranos war zu dieser Zeit in Europa, wie
Jung sagte, die "einzige europäische Plattform, wo
von verschiedenen Nationalitäten Fragen diskutiert
wurden, welche die Menschheit als Ganzes
betreffen."
1938 Jahr ging Jung
für eine dreimonatige Reise nach Indien; dort bekam
er drei Doktoratsdiplome: in Allabad, Benares und
Kalkutta, "Das erste repräsentiert den Islam, das
zweite den Hinduismus, und das dritte die
Britisch-Indische Medizin und Naturwissenschaft." Es ist
interessant diese Reise zu erwähnen, weil Jung zum
ersten Mal Indien bereiste, ein Land, dem er schon so
viele Gedanken gewidmet hatte.
Im Tempel von Konarak in
Orissa erlebte Jung eine lustige Geschichte. Sein
Begleiter sagte plötzlich zu ihm: "Sehen Sie diese
Steine? Wissen Sie, was sie bedeuten? Ich will Ihnen ein
großes Geheimnis verraten!" Ich war erstaunt, denn
ich dachte, dass die phallische Natur dieser Monumente
jedem Kind bekannt sei. Er aber flüsterte mir mit
größtem Ernst ins Ohr. "These stones are man's
private parts". Ich habe erwartet, er würde mir
sagen, dass sie den großen Gott Shiva bedeuten. Ich
sah ihn entgeistert an, er aber nickte gewichtig, wie
wenn er sagen wollte: "Ja, so ist es. Das hättest du
in deiner europäischen Ignoranz nicht gedacht!" Als
ich Zimmer diese Geschichte erzählte, rief er
entzückt aus: "Endlich höre ich einmal etwas
Wirkliches von Indien".
In Kalkutta wurde Jung
schwer krank und musste zehn Tage im englischen Spital
verbringen. Auf dieser Rettungsinsel konnte er sich auch
vom "Meer" der Eindrücke, die Indien in ihm
hinterlassen hatten, erholen. Dort hatte er den folgenden
Traum: Er träumte, dass er auf einer Insel in
Süden von England war, im Hof eines
mittelalterlichen Schlosses. Dort musste man den Gral
zelebrieren. Jung selbst kommentiert seinen Traum: "Ich
wurde aus der Welt Indiens herausgenommen und daran
erinnert, dass Indien nicht meine Aufgabe war, sondern
nur ein Stück des Weges - wenn auch ein bedeutendes
&endash; der mich meinem Ziel annähern sollte.
Es war, als ob der Traum mich fragte: "Was tust du in
Indien? Suche lieber für deinesgleichen das heilende
Gefäß, den salvator mundi, dessen ihr dringend
bedürft. Ihr seid ja im Begriff, alles zu ruinieren,
was Jahrhunderte aufgebaut haben". So hatte ihn die
Begegnung mit dem Orient zu einer neuen Konfrontation mit
Europa gebracht, genaugenommen mit der keltischen
Mythologie. Mehr als in anderen Mythologien, sind in der
keltischen Mythologie Natur, Gottheiten und Menschen
gleichwertig: es gibt keine Pyramide, keine Hierarchie,
sondern ein Kreis, der alle Wesen umfaßt. Durch
diese nordische Mythologie entsteht in Europa die erste
Idee von Demokratie. Alle Helden sitzen um einen Tisch,
der bekannte runde Tisch.
Abschließend
möchte ich ein Zitat von Adolf Portmann lesen, das
den Sinn und das Ziel von Eranos erklärt: "Dieses
umfassende Bild vom Humanen zu formen, das ist aber die
Aufgabe, die uns hier zu gemeinsamer Arbeit im "Eranos"
zusammenführt. Weite, Tiefe und Gestaltenreichtum
unserer geistigen Welt zu erfahren, den Abstieg in die
Gründe des wenig oder kaum Bewussten zu wagen, die
großen symbolischen Formen zu ergründen, mit
denen das verborgenste Menschliche das Geheimnis des
Lebens zu bewältigen sucht, - das ist ja das ernste
Streben unseres Zusammenseins". Mit ihm kommen wir wieder
zum Garten von Eranos zurück, zu seinen Pflanzen,
Blumen und Insekten. Ihre Unterschiede lassen, wie
Portmann sagt, "ein völlig verschiedenes Zeitalter
der Erdgeschichte anbrechen". Im Leben der Libellen, die
Raubtiere sind - erinnert uns Portmann - spielen die
Blumen keine Rolle, im Gegensatz zu anderen Insekten, die
von Blumen angezogen werden. "So zeugen ja auch die
vielen Nadelhölzer unseres Gartens mit all den
Varianten von bronzenem, dunklem und bläulichem
Grün von einer ganz anderen Erdzeit als die
Laubbäume, die Ulmen, die Kastanien, der Lorbeer.".
Er erinnert uns daran,
wie wichtig es ist, die unzähligen Formen des Lebens
wahr zu nehmen. Die Formen, die von der Natur kommen und
diejenigen, die von der Menschheit erschaffen werden. Die
Verschiedenheit der Kulturen, der Religionen, der Mythen,
die seit jeher die Menschheit in ihrer Entwicklung
begleitet. Er bemerkt noch, wie einseitig die
Wissenschaft geworden ist, da von Milliarden von Formen
nur die kleine Taufliege Drosophila in wenigen
Jahrzehnten zur best bekannten aller Tierformen geworden
ist.
Und, wenn Sie mir
erlauben, möchte ich nun im Geist von Monte
Verità und Eranos einen Sprung in die heutige Zeit
tun. Heute können wir direkt sehen, wie
gefährlich es ist, wenn von unzähligen
Getreidearten, die auf der Welt kultiviert wurden, nur
noch ganz wenige erhalten bleiben, die nicht genetisch
manipuliert sind. Um nicht von der perversen Politik der
Multinationalen Konzerne zu sprechen, die mit dem
Patentieren einzelner Getreidesorten den Bauern die
Getreidearten rauben, die sie seit Jahrhunderten
angepflanzt haben.
Abschliessend möchte
ich mich auch zum Orient wenden und an die Worte von
einem Mann aus Indien erinnern. Befragt über das
entscheidenste Ereignis des letzten Jahrhunderts, sagt
der Ökonomie Nobelpreisträger Amartya Sen, es
sei der Aufstieg der Demokratie: "Ein Land soll nicht
bereit zur Demokratie sein, sondern soll durch die
Demokratie demokratisch werden."
Mit diesen Worten von
Amartya Sen möchte ich mein Referat beenden und
danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Rossana DEDOLA, 2006,
© 2O06, by Rossana Dedola, Schachen 34, CH-5000
Aarau